SHG Wurzen
Suchtselbsthilfegruppen Wurzen

Die Abhängigkeit ist eine psychische Erkrankung


Interview mit Privatdozent Dr. med. Gütz Mundle,
Chefarzt der Oberbergkliniken Schwarzwald
in Hornberg, Facharzt für Psychiatrie und Psycho-
therapie sowie Mitglied des Suchtforschungs-
verbundes Baden-Württemberg.

Was ist eigentlich Alkoholismus?
„Alkoholismus ist ein Oberbegriff für drei Zustände:
erstens überhöhten, riskanten, Alkoholkonsum,
zweitens Alkoholmissbrauch und drittens
Alkoholabhängigkeit.”


Wie sind diese Zustände definiert?

„Riskanter Konsum ist gegeben, wenn jemand die von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegtenWerte regelmäßig überschreitet und somit ein erhöhtes Risiko von körperlichen und psychischen Folgeschäden eingeht. Die Grenzwerte liegen bei 200g Alkohol für Männer und 100g Alkohol für Frauen pro Woche. Pro Tag bedeutet dies 0,3 Liter Wein bzw. 0,6 Liter Bier bei Männern, bei Frauen halb so viel plus 1-2 abstinente Tage. Zu beachten sind neben den Trinkmengen auch die Trinkmuster. Besonders gefährlich sind hier Trinkexzesse, z.B. am Wochenende, mit Trinkmengen über 60-80g, die allein für sich zu
erheblichen Schäden führen können. Liegen bereits Schädigungen vor, so spricht man von einem schädlichen Alkoholkonsum. Eine Abhängigkeit ist eine psychische Erkrankung und liegt dann vor, wenn der Betroffene seinen Konsum nicht mehr steuern kann und sein Verhalten von einem starken Wunsch, beinahe einem Zwang nach Alkohol geleitet wird. Die Trinkmenge spielt hierbei keine zentrale Rolle.”

Wie viele Menschen in Deutschland haben Probleme mit Alkohol?
„Nimmt man alle drei Kategorien zusammen, so kommt man auf 15 Prozent der Bevölkerung, also rund 10 Millionen. Alkoholabhängigkeit, also die schlimmste Form, betrifft etwa 1,5 Millionen Menschen.”

Wer kann in Alkoholabhängigkeit geraten?

„Süchtig kann jeder werden. Das ist kein Problem einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Der Alkoholiker am Bahnhof fällt allgemein auf, der Alkoholiker im Büro nicht.”

Wie erkennen Ärzte und Angehörige, dass jemand ein Alkoholproblem hat?

„Die Symptome sind – vor allem bei riskantem und schädlichem Konsum – unspezifisch. Daher hilft nur Nachfragen. Typische Folgeschäden, die ein Hinweis auf einen erhöhten Alkoholkonsum sein können, sind z.B. Gastritis, erhöhte  Leberwerte, Erkrankungen der Mundschleimhaut oder auch Depressionen.
Bei Anhängigkeit äußert sich das Problem schon viel deutlicher: über gerötete Gesichtshaut, übermäßiges Schwitzen und Zittern zum Beispiel, des Weiteren darüber, dass jemand oft alkoholisiert ist.”

Wie kann man alkoholkranken Menschen helfen?

„Bei riskantem und schädlichem Konsum muss es Ziel sein, die Alkoholmenge unter die WHO–Grenzwerte abzusenken. Bei Abhängigkeit helfen nur Entwöhnung und totale Abstinenz. Der Betroffene darf auf keinen Fall mit Alkohol in Berührung kommen. Selbst der Konsum von Medikamenten oder Kosmetikprodukten auf
alkoholischer Basis wie Mundspülungen ist eine große Gefahr, weil selbst diese geringen Mengen einen Rückfall darstellen und zu einem Abrutschen in alte Konsummuster führen können.”

Wissen Hersteller, Ärzte und Konsumenten um diese Gefahr?

„Das Wissen um solche Gefahren ist heute zwar größer als früher.  Aber im Bewusstsein vieler Hersteller, Ärzte und Verbraucher ist das hohe Risiko, das von Präparaten mit Alkohol ausgeht, noch längst nicht fest genug verankert. Das heißt: Viele Hersteller produzieren immer noch Medikamente oder Spülungen
auf alkoholischer Basis, und viele Ärzte verschreiben Patienten, die ein Alkoholproblem haben, diese Produkte. Noch einmal: Für trockene Alkoholiker ist das fatal.”

An wen kann man sich wenden, wer Probleme mit Alkohol hat?

„Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt. Ganz wichtig sind auch Suchtberatungsstellen. Es gibt Sie in jeder größeren Stadt. Institutsambulanzen in psychiatrischen Kliniken helfen ebenfalls weiter. Zudem gibt es Selbsthilfegruppen, etwa die Anonymen Alkoholiker. Die Oberbergkliniken halten übrigens ein spezialisiertes Angebot bereit, das vor allem auf betroffene Ärzte, Zahnärzte und Apotheker zugeschnitten ist.”

Auszug aus dem Apotheken Kurier vom Juli 2005